Sie gewinnen vielleicht nicht den Preis für die aller-hübschesten Brötchen, doch die zartknusprige Kruste, saftig-offenporige Krume und ihr herrliches Aroma sind preisverdächtig. Die Reutlinger Kimmicher sind eng mit genetzten Broten und Seelen verwandt. Genau wie diese Gebäcksorten werden sie aus einem sehr weichen Teig mit nassen Händen herausgebrochen. Ihre Größe bewegt sich dabei um die 200g, deutlich größer also als ein normales Brötchen. Namensgebend für die Kimmicher ist der Kümmel, der im Schwäbischen auch Kimmich genannt wird.
Wie bei vielen anderen traditionellen Rezepten ist das Rezept für die Kimmicher eine kleine Zeitreise. In einem alten Diamalt-Buch von 1938 findet sich folgendes “Rezept” für den Teig: “Einen weichen Wasserweck-Teig mit Kümmel lässt man in einer Schüssel gut reif werden…”. Mehr Angaben zu den Zutaten finden sich nicht, und auch das Rezept für den Wasserweck bleibt ähnlich wage. Immerhin lässt sich aus der Beschreibung des Wasserweck ableiten, dass Weizenmehl, Wasser, Salz und Hefe verwendet und mit einer langen, kalten Stockgare gearbeitet wurde. Ich habe mein Bestes gegeben, um aus diesen Angaben ein modernes Rezept zu bauen.
Da die Teiglinge von mir ohne Unterstützung geformt und eingeschoßen werden sollten (und weil ich keinen Schüsseleinschießer mein eigen nenne), habe ich zu einem Trick gegriffen. Fünf tiefe Nachtischschälchen wurden großzügig nass gemacht und bereit gestellt. Nach dem Formen wanderte je ein Kimmicher in ein Schälchen und ich hatte Zeit, mir rasch die Finger zu waschen und den Ofen zu öffnen. Mit den Schälchen ließen sich die Kimmicher dann problemlos auf den Backstein stürzen. Und mit dieser Methode ist das Einschießen auch viel entspannter!
Beim Backen ist es wichtig, dass der Eigenschwaden der nassen Brötchen gut abziehen kann. Das klappt am Besten, wen der Ofen nach Beendigung des Ofentriebs für 3 min vollständig geöffnet wird. Die Temperatur fällt dadurch zwar schnell, aber erreicht nach Schließen des Ofens auch bald wieder die Ausgangstemperatur. Wer einen Ofen hat, der auch bei angelehnter Tür weiter bäckt, lässt sie auch danach einen Spaltbreit offen. Alle anderen müssen sich mit der Umluft-Funktion und regelmäßigen Öffnen der Ofentüre behelfen. All das macht das Backen ein wenig aufwendig, doch ich verspreche, dass es sich lohnt. Mit dem vielschichtigen Aroma aus der langen Gare und dem feinen Knuspern der Kruste sind es Brötchen, die mal wieder nur ein wenig Butter und feine Salzflocken für ein Vesperglück brauchen!
Reutlinger Kimmicher
ergibt 5 große Brötchen
Autolyse
- 500g Mehl Type 550
- 370g Wasser (35°C)
Teig
- Autolyse
- 3g Hefe
- 10g Salz
- 80g Wasser
- 20g Kümmel
Für die Autolyse Mehl und Wasser zu einem homogenen Teig mischen und mindestens 30 min ruhen lassen.
Nun werden Hefe und Salz hinzugefügt und der Teig erst 2 min bei langsamer Geschwindigkeit, dann weitere 8 min bei schneller Geschwindigkeit geknetet. Nun wird der Kümmel einknetet. Zuletzt wird das Wasser in kleinen Portionen zugefügt und der Teig wird bis zur vollständigen Glutenentwicklung weitergeknetet.
Den Teig 1 Stunde bei Raumtemperatur gehen lassen, dabei nach 30 und 60 min dehnen und falten. Nun wird der Teig für mindestens 12 Stunden (bis 18 Stunden) in den Kühlschrank gestellt.
Am nächsten Tag wird der Teig drei Stunden vor dem Backen aus dem Kühlschrank genommen und erneut vorsichtig gefaltet.
In der Zwischenzeit den Backstein auf 300°C vorheizen.
Fünf Schälchen kräftig mit Wasser besprühen. Mit nassen Händen den Teig in fünf etwa gleichgroße Stücke teilen. Jedes Teigstück etwas auf Spannung bringen und mit der Saumseite nach oben in eines der vorbereiteten Schälchen setzen.
Nun die Kimmicher mit etwas Abstand zueinander aus dem Schälchen auf den Backstein stürzen. Nach 10 min den Ofen für 3 min vollständig öffnen, damit der Dampf vollständig entweichen kann. Danach entweder den Ofen einen Spalt offen lassen oder auf Umluft schalten und den Ofen alle 3 min kurz öffnen, damit der neu entstandene Dampf abziehen kann (Vorgehen ist abhängig vom Ofen). Für weitere 12 min backen (Gesamtbackzeit 25min).
English (UK)
Moin Stefanie,
wenn du die Kimmicher aus dem Kühlschrank geholt hast,falten und dann 3 Std. stehen lassen? Habe ich das so richtig verstanden ???
Liebe Grüße Karin
@Karin: Genau 🙂
Hallo Karin, wie oft wird der Teig gefaltet nachdem er aus dem Kühlschrank geholt wird? Und lässt du ihn erstmal bisschen aufwärmen bevor du ihn faltest oder direkt aus dem Kühlschrank?
@Anna: Ich falte so: erst von links, dann von rechts unter den Teig greifen, den Teig dehnen und zur Mitte einschlagen, dann von oben und unten ebenfalls zur Mitte hin falten. Den Teig zurück in die Schüssel legen und weiter gehen lassen.
Moin Stefanie,
Habe heute deine Kimmicher nachgebacken.Was soll ich sagen:
Aussehen- na ja. Aber der Geschmack,einfach umwerfend.Soooo lecker! Ich habe es sogar geschafft, 9 Brötchen abzustechen.
Vielen lieben Dank für das tolle Rezept.
@Karin: Ich sag ja, es sind nicht die hübschesten, aber der Geschmack reisst es absolut heraus. Und auf dem Bild im Backbuch von 1938 sehen sie genauso aus, von daher passt das schon 😉
Vielen Dank für das tolle Rezept für Backwaren aus meiner Heimatstadt. Habe ich heute gleich mal nachgebacken. Sehr lecker! Reutlinger Kimmicher proudly produced in Reutlingen… 🙂
Gruß LUTZ
P.S.: Übrigens gibt es in folgendem Video (ab Minute 6:47) eine Sequenz, in der man sehen kann, wie die Kimmicher mit nassen Händen geformt werden können.
@LUTZ: Das freut mich 🙂 Und vielen Dank für den Link zum Video!